Sabina Lorenz

Blues mit Hund

Nachts ist das Fenster ein Spiegel, und in jener Nacht
da berührte ich ihn und fiel hindurch. Ich landete
auf dieser Dorfstraße, auf der ich meine Kätzchen
erschlagen hatte, aber in dieser Nacht
war sie nichts als ein Weg, so ging ich.

Hinterm Friedhof traf ich die Liebe, und aus dieser Liebe
gebar ich einen dreibeinigen Hund, und wir gingen
zusammen und teilten uns das Sauerkraut
der Autobahnraststätten, und vor den U-Bahnschächten
tanzte er für ein paar Münzen.

Er hieß Dr. weil er fand, dass wer auf drei Beinen
tanzen könne, einen Dr. verdiene. An einem Mittwoch
wärmte ich sein nicht vorhandenes Bein, und fror
denn Dr. war zum Wärmen zu klein, und die gestrigen
Nachrichten hatten keinen Regen vorhergesagt.

Aber gestrige Nachrichten sind alte Nachrichten
sagte Dr., und es regnete um fünf in der Früh, und
dein blauer Regenmantel, sagte er noch, ist
an der Schulter zerrissen, dann schlief er
in meiner Jacke ein, und aus dem Regen

kam klitschnass die Liebe. Und war groß genug
für diesen Morgen, knallroten Lippenstift trug sie auf, und
ich berührte ihren Spiegel und fiel hindurch. Ich landete
hinter diesem Friedhof, wo ich einst die Liebe
getroffen hatte. Einen Lippenstift in der Tasche

hielt ich Dr. in meiner Jacke, so gingen wir.

Aus: Sabina Lorenz, Die Fremde ist ein Ort, Lyrikedition 2000, 2007

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